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Planetare Intelligenz: Teil 3 von 3

Lars

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Planetare Intelligenz durch planetare Rechte


Nachdem im zweiten Teil des Essays über Planetare Intelligenz der Suchtcharakter des aktuellen Wirtschaftsmodells freigelegt wurde, gehen wir jetzt im dritten und letzten Teil der Frage nach, was die wachstumsversessene Menschheit eigentlich wirklich daran hindert, planetar intelligent zu handeln und wie ein Ausweg aus dem Dilemma aussehen könnte.

Sucht ist immer eine Verengung der Wahrnehmung. Wer sich wie die meisten Länder der Erde vom Wirtschaftswachstum abhängig gemacht hat, kann kaum noch wahrnehmen, dass es eine Welt ohne wachsende Produktions- und Finanzerträge geben könnte. Der verschleppte Wandel lässt uns nicht nur von einer Wirtschaftskrise in die nächste taumeln wie eine Fliege, die immer wieder gegen die Scheibe prallt und das offene Fenster daneben nicht erkennt. Unsere eingeschränkte Wahrnehmung zieht auch eine verkümmerte Vorstellungskraft nach sich. Vor unserem inneren Auge nimmt eine von Klimawandelfolgen und Artenverlusten verwüstete Welt keine so klare Gestalt an, dass wir uns beherzt vom alten Modell lösen. Und auch die planetar intelligente Welt nach der zerstörerischen Profitmaximierung bleibt diffus. Oder wie der Autor Amithav Gosh sagt: Wir sind in einer Krise der Imagination. Die Menschheit kann sich das Unwahrscheinliche nicht mehr vorstellen und ist dadurch nicht fähig, es zu gestalten. Wer den Versuch unternimmt prallt gegen den gläsernen Käfig aus Ignoranz und Gier.


Wir stecken auch in einer Krise der Vorstellungskraft.


Nehmen wir eines der klarsten Positiv-Beispiele. Ecuador verzichtet auf die Ausbeutung seiner Erdölreserven im Yasuni Nationalpark, um dort einen Lebensraum zu erhalten, der auf 80.000 Quadratkilometer mehr Tierarten als ganz Europa und mehr Pflanzenarten als Nordamerika umfasst. Im Gegenzug verpflichten sich entwickelte Staaten der nördlichen Hemisphäre, dem Land Ausgleichszahlungen in Höhe der Hälfte der nicht realisierten Verkaufserlöse der Erdölvorräte zu zahlen. Ein Plebiszit in dem instabilen und armen Land hat 2023 sogar bestätigt: Die Mehrheit der Bevölkerung ist dafür, das Erdöl im Boden zu lassen. Der Ausgleichsfond beliefe sich auf 3,6 Milliarden US-Dollar, 336 Millionen wurden zugesagt, aber nur 3,6 Millionen eingezahlt. Ein Tausendstel des benötigten Geldes. Gier und Geiz verbünden sich mit unersättlicher Energiesucht. Offenbar ist es leichter, sich einen Haufen Geld vorzustellen, als einen Haufen toter Tiere und Pflanzen.

Das Beispiel Ecuadors zeigt einen Akt des Widerstands gegen das business as usual der zerstörerischen Extraktion. Leider einen gescheiterten. Gibt es in den wohlhabenden Ländern der nördlichen Hemisphäre ein Beispiel für vergleichbares Regierungshandeln? Nein. Die wohlhabenden Länder haben zu große Angst um ihren Wohlstand. Im Klartext heißt das: Sie sind zu feige. Und konkret bedeutet das: Politiker haben Angst durch unpopuläre Einschränkungen und Verzicht Wählerstimmen zu verlieren. Die Wärmepumpendebatte in Deutschland bestätigt, dass die Angst begründet ist. Wenn es so nicht geht, wie könnte ein wirksamer Widerstand dann gegen fortgesetzte Extraktion und Artenvernichtung aussehen? Oder müssen wir gar nicht widerstehen, sondern uns der neuen planetaren Realität anpassen, während wir - zirkulär verbrämt - das alte Gewinnstreben fortsetzen? Hinter höheren Deichen, mit Windparks bis zum Horizont, in kleineren Wohnungen, mit Fahrrädern, E-Carsharing und schwimmenden Häusern?

Brauchen wir also nur eine verbesserte Ambiguitäts-Toleranz? Vom Alten immer weniger und vom Neuen immer mehr, den Wandel tapfer aushalten bis irgendwann die Balance stimmt? Das Problem ist das Irgendwann. Wieder wie schon am Anfang der Essayreihe, komme ich auf das unbedingt erforderliche Tempo zurück. Die Illusion eines allmählichen Übergangs wird schon jetzt durch eine erschreckende Häufung von Einschlägen aus der neuen klimaversehrten Welt torpediert. Bisher ungesehene Waldbrände, Überschwemmungen, Gletscherschmelzen, Bergrutsche, Stürme, Dürren. Noch immer betten wir all das in unsere vom Beherrschbarkeitsdenken bestimmte Wahrnehmung ein.

Mitten in der Auflösung glauben wir noch immer, dass alles gut wird.


Wir können uns selbst dann nicht vorstellen, dass unsere gewohnte Welt sich auflöst, wenn wir mitten in der Auflösung sind, wenn uns der Boden sprichwörtlich unterm Arsch wegbrennt wie in der Tundra. Urlauber fahren in brennende Regionen, erwarten evakuiert zu werden, kehren auf noch schwelende abgebrannte Flächen zurück, breiten ihr Handtuch aus. Ist das nur fehlendes Vorstellungsvermögen oder schon destruktive Ignoranz? Wir erkennen hier Suchtverhalten und Renditeerwartungen - was man bezahlt hat, will man auch beanspruchen. Was wir aber nicht erkennen, ist eine Haltungs- oder gar Verhaltensänderung. Weil, wie dieses einfache Beispiel zeigt, die Urlauber sich einfach nicht vorstellen können, nicht zu Urlauben oder zugunsten der am Kipppunkt stehenden Dürregebiete auf einen Teil der bereits gezahlten Summe zu verzichten. Und selbst wenn sie dazu bereit wären. Wer übernimmt die Kosten für den verfrühten Rückflug?

Wir stecken also in einer Krise des Vorstellungsvermögens. Auch Haltungs- und Verhaltensänderungen scheinen schwer vorstellbar, wenn man doch ein Anrecht auf vertraglich Zugesichertes hat. Ist das vielleicht sogar im Kleinen das Modell, unter dem die entwickelte Welt im Großen leidet? Die Vorstellung von einer vertraglich zugesicherten Befriedigung der Wachstums- und Konsumsucht? Im Umkehrschluss also das Gefühl, bei Nichterfüllung dieses Vertrags betrogen worden zu sein? Je nach politischer Couleur wird jedenfalls dieses Gefühl bedient und populistisch ausgeschlachtet.


Der Planet kennt keine Verträge, trotzdem müssen wir uns vertraglich auf ihn verpflichten.


Nicht der Mensch, sondern der Planet wird aber um seinen fairen Anteil betrogen. Dem Planeten ist das allerdings egal. Er kennt keine Verträge. Da aber unser Denken und Handeln zunehmend auf Vertrags- und Protokoll-Basis - siehe protokollgesteuertes Internet - funktioniert, sollten wir uns am besten auch einen Vertrag mit dem Planeten überlegen, in dem er als Vertragspartner dauerhaft und gleichberechtigt, wenn nicht sogar privilegiert, berücksichtigt wird. Einen Vertrag, der nur die Menschen bindet. Damit wir aufhören, den Planeten unentgeltlich auszubeuten, wie wir es tun, seit es unsere Spezies gibt. Aus Rücksicht auf unser eingeschränktes Vorstellungsvermögen bleiben wir zunächst bei einer materiellen Vertragsbasis, obwohl Geld sofort seine Bedeutung verliert, wenn wir den intakten Planeten verlieren, ist es jetzt noch der wichtigste Transmissionsriemen für Veränderung.

Was sind die Dienstleistungen der Natur in banalen Dollar wert? Paul Hawken und andere Wissenschaftler, wie Vester und Costanza beziffern den Wert des natürlichen Kapitalstocks auf 400 bis 500 Billionen US-Dollar. Jedes Jahr liefert die Natur der menschlichen Gesellschaft einen Nutzen von 33 Billionen Dollar in Form von Früchten, die wachsen, Wasser, das in den Flüssen gereinigt wird, CO2 - Senken in Pflanzen und Ozeanen, aquatischer und terrestrischer Fauna und vielem mehr. Bereits ca. ein Drittel dieses natürlichen Kapitals wurde von den Menschen zerstört, Arten wurden ausgerottet, Regenwälder gerodet, Ackerboden zerstört und die Luft verschmutzt. Doch noch immer würden nach diesem Modell jedem Menschen bei der jetzigen Einwohnerzahl der Erde pro Jahr 70.000 Dollar vom natürlichen Kapital zustehen. Damit wird klar, wie viel planetares Kapital noch zur Verfügung steht. Die Menschheit verwendet es jedoch rücksichtslos und ohne nachhaltigen Wohlstand zu schaffen. Wenn alle Menschen, beim derzeitigen Ressourcenverbrauch der USA, mit Lebensstil und Wohlstand der US-Bürger und Bürgerinnen leben würden, bräuchte man dafür nach Hawkens Rechnung 12 Erden, es gibt aber auch deutlich höhere Schätzungen.


Jedem Menschen steht das jährliche Äquivalent von 70.000 Dollar an panetarer Wertschöpfung zu.


In einem planetaren, statt kapitalistischen Szenario könnte jede/r Einzelne jährlich den Gegenwert von 70.000 Dollar dem Planeten überlassen, indem er oder sie auf planetare Dienstleistungen verzichtet oder deren Nutzung verhindert. Wir brauchen also Moratorien, die den Verbrauch der Dienstleistungen der Erde flexibel stoppen. Und wir brauchen Gesetze, die sowohl den Anspruch auf den eigenen Anteil festschreiben als auch das Recht zum Verzicht auf planetare Leistungen, über die dann nicht mehr unmittelbar und oft willkürlich Unternehmen, Institutionen und Staaten bestimmen, sondern die Planetenbewohner, die sich auch zu Moratoriums-Gemeinschaften zusammentun könnten. So könnten schon wenige Anwohner eines Biotops dessen Erhalt durchsetzen, indem sie ihre Anteile z.B. der Abholzungswut eines Holzkonzerns entgegenstellen. Andererseits hätten große Unternehmen BürgerInnen und Mitarbeitende zu überzeugen, ihnen ihre planetaren Anteile zu verkaufen. Hierzu müssten sie sehr gute und planetar belastbare Argumente vorbringen. Sie wären also gezwungen, ihre Eingriffe gründlich zu durchdenken und auf Schädlichkeit abzuklopfen. Und die Einzelnen stünden ihnen als Planetenmiteigner und -eignerinnen nicht mehr weitgehend machtlos gegenüber. Der Suchtkreislauf könnte durchbrochen werden, allein indem wir Produkte, die allzu antiplanetar belastet sind, nicht mehr herstellen. Darüber würden nicht weiter oft elitär abgekoppelte Vorstände und Vorständinnen entscheiden, sondern die neuen und eigentlichen Planeteneigner und -eignerinnen. Um jeder Besitzfixierung vorzubeugen, sollten wir sie natürlich eher als Sachwaltende sehen.

Ja, dieses Modell ist radikal und es wirft einige rechtliche Fragen auf, aber ohne radikale Veränderung werden wir das Primat der Wirtschaft nicht rechtzeitig überwinden. In der Übergangsphase müssen wir uns eine große Ambiguitätstoleranz zulegen, denn der Planetarismus und der Kapitalismus sind auf ihre jeweils eigene Weise sehr eigensinnige Konzepte. Das eine ins andere zu überführen wird eine Mammutsaufgabe. Wir werden auch den alten Machbarkeitswahn überwinden müssen und viele unternehmerische Handlungen, die heute noch gefeiert werden, auch viele antiplanetare Startup-Ideen nüchtern auf den Prüfstand stellen. Bedachtes Handeln, sogar Nichthandeln und wirtschaftlicher Rückzug aus definierten Bereichen werden zu gleichwertigen Optionen werden.

Wir werden lernen müssen, viele Dinge einfach mal so zu lassen, wie sie sind, weil es dem Planeten guttut und andere vom Kopf auf die Füße zu stellen, obwohl es uns verunsichert. Erst wenn wir das verstanden haben, werden wir intelligent genug sein, unseren eigenen Untergang zu verhindern.


Photography © Shane Rounce; Raden Eliasar

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